Im Dialog mit Bach

Beim Konzert des Kammerchors "Cantus Solis" stand die Motette "Jesu, meine Freude" im Zentrum

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Der Karlsruher Kammerchor "Cantus Solis" bot in der Lutherkirche ein ungewöhnliches Konzert unter dem Motto: "Re: Jesu, meine Freude". Bachs bekannte Motette stand im Mittelpunkt, trat aber sozusagen in einen Dialog mit anderen Werken. Zwischen den Sätzen der Motette war auch Musik von Brahms, Schütz oder Hugo Distler zu hören.

Mitunter erlebt man es häufiger, dass große Werke „aufgebrochen“ und in Beziehung zu vergleichbarem Repertoire gesetzt werden. Das (unvollendete) Mozart-Requiem bietet sich hier geradezu an, erst recht das Fragment dazu. An der Christuskirche wagte man vor einigen Jahren ein solches Experiment, und auch Buxtehudes Kantatenzyklus „Membra Jesu nostri“ erklang dort bereits im Dialog – und zwar in Verbindung mit den „Sieben Worten“ des Zeitgenossen Knut Nystedt.

Knut Nystedt (1915-2014) war auch im Konzert mit Cantus Solis in der Lutherkirche zu hören, neben vielen anderen, die jetzt mit Bach sozusagen einen „Dialog“ eingingen. „Re: Jesu, meine Freude“ hat der Chor das Konzert überschrieben; in Anlehnung an die Antwort-Mails der modernen Kommunikationsmittel.
Zwischen die Zeilen des vertrauten Werks, so die Beschreibung im Programm, sollten sich auch „andere Stimmen“ mischen - „fragend, spiegeld, vertiefend“. Dabei kommt den Motetten von Johannes Brahms („Es ist das Heil uns kommen her“ op. 29 und „Ach, arme Welt“ op. 110) eine besondere Bedeutung zu. Auch Brahms setzt sich - teils mit barocken Satztechniken - mit dem alten kirchlichen Liedgut auseinander.

Als eine „Reflexion über Bachs Meisterwerk“ war das Konzert gedacht, und das wurde es zweifellos – wenn es auch ein wenig problematisch ist, ein geschlossenes Werk auf diese Weise aufzuspalten.

Dabei ist die Motette „Jesu meine Freude“ (BWV 227) ebenfalls eine Verbindung; im Zentrum steht ein Choral (nach einer Melodie von Johann Crüger), der aber immer wieder unterbrochen wird. Diesem Trost-Choral liegt ein Gedicht von Johann Franck zu Grunde, und zwischen die Strophen schiebt Bach einige Bibeltexte nach Paulus (aus dem Römer-Brief), die er kunstvoll vertont und die von der Sündhaftigkeit der Welt handeln.
Diese Sündhaftigkeit seiner "fleischlichen" Natur soll der Mensch nun überwinden, indem er sich ganz Christus zuwendet. Insofern ist die Motette ansich schon ein Dialog. In vorbildlicher Weise informiert dazu übrigens auch der Programmhefttext des Dirigenten Elias Hostalrich Llopis.

Das Choralvorspiel BWV 610 (Orgel: Tim Krüger) wirkt zunächst wie eine Hinführung zum Thema; danach intoniert der Chor den Choral: sorgsam, mit guter Artikulation und rundem Legato. Nach der Verszeile „die nicht nach dem Fleische wandeln“ - hier wirkt die Musik tatsächlich wie ein Stimmengewirr von „verirrten“ Menschen – setzt nun bei Bach die Strophe „Unter deinen Schirmen“ ein. An dieser Stelle wird die Motette jetzt erstmals aufgebrochen; „Es ist das Heil uns kommen her“ von Johannes Brahms nimmt sozusagen den Trost vorweg, man hört einen ruhevollen Chorklang.
Der anschließende Bach-Choral hat Festigkeit; ätherisch leicht folgen die Frauenstimmen mit „Denn das Gesetz des Geistes“. Vollständig entmaterialisiert scheint die Musik in den Zeilen „Ich bin das Brot des Lebens“ von Wolfram Buchenberg (Jahrgang 1962): Hier hört man nur noch flächige, schwebende Klänge.

Bach "hallt" nach, in sämtliche Jahrhunderte

Umso härter wirkt danach der Übergang zu „Furcht“ und „Todesrachen“. Ein wenig lang gerät diese Episode, denn eingeschoben wird jetzt Hugo Distlers „Singet dem Herrn“ - eine aufwühlende, rhythmisch markante Psalm-Vertonung, mit Dissonanzen und mit Fugenabschnitten. Das wäre nicht unbedingt nötig gewesen; eher verliert dadurch der kontrastreiche Bach-Satz an Wirkung.

Eine große Ausdruckskraft entfaltet allerdings das „Zentrum“ der Motette, die Fuge „Ihr aber seid nicht fleischlich“. Elias Hostalrich Llopis „jagt“ seinen Chor nicht, wie manchmal üblich, durch diesen komplexen Satz – sondern er wählt ein maßvolles Tempo, wodurch die einzelnen Stimmen aber umso klarer zur Geltung kommen. Ausgesprochen präzise baut der Chor die Fuge auf - übrigens auch mit feinen, durchsichtigen Männerstimmen.

Die Antwort kommt an dieser Stelle von der Orgel, und sollte der gekonnt umspielte Cantus firmus, wie im Programmheft zu lesen ist, tatsächlich eine „Improvisation“ im Stile eines barocken Choralvorspiels gewesen sein - dann gebührt dem Organisten Tim Krüger hier allergrößtes Lob.
Recht drastisch stellt danach der Chor das Ringen des Menschen („Weg mit allen Schätzen“) in den Raum; das Continuo (Cello: Dmitri Dichtiar) verstärkt den Rhythmus und damit die Wirkung. Von Brahms kommt erneut die Antwort („Ach, arme Welt“), geradezu pastoral gelingt der Bach-Satz „So aber Christus in Euch ist“, und ein Teil des Chores antwortet von der Empore: „Gute Nacht, o Wesen“.

Dem Himmel sozusagen schon entsprechend nahe, folgt nun mit Heinrich Schütz die Vollendung: „So fahr ich hin zu Jesus Christ, mein Arm tu ich ausstrecken“. Auch eine solche „Klang-Inszenierung“ ist Teil des Konzerts, und sie verfehlt ihre Wirkung nicht.
Die Motette endet trostvoll, doch erstaunlicherweise überlässt Elias Hostalrich Llopis nicht Bach das letzte Wort - sondern das hat stattdessen der Norweger Knut Nystedt mit „Immortal Bach“, sozusagen eine Reflexion über den Choral „Komm süßer Tod“. Hier bleibt die Musik beinahe stehen, die Klänge fließen ineinander.

An dieser Stelle zeigt sich nochmals das insgesamt gelungene Konzept des Abends: Bach „hallt“ sozusagen nach, in sämtliche Jahrhunderte hinein – und bildhafter kann man auch die Vorstellung von „Ewigkeit“ und „Überweltlichkeit“ kaum ausdrücken.

Christine Gehringer

[Pamina Magazin, 24.10.2025; Veröffentlichung mit Einverständnis der Autorin]