Wunderschöner Irrgarten

Cantus Solis bestätigt in Paul-Gerhard-Kirche seinen Ruf als herausragender Chor

„Im wunderschönen Monat Mai, als alle Knospen sprangen“ – die Verse aus Heinrich Heines „Dichterliebe“, als Klavierliederzyklus von Robert Schumann vertont und von Clytus Gottwald für gemischten Chor a cappella gesetzt, eröffneten das Konzert von Cantus Solis in der Paul-Gerhardt-Kirche. Dass vor der Tür ein Oktobertag mit zum Text passender Maientemperatur lag, war ein Zufall. Wie gut der Chor klang, war keiner. Seit 1995 darf er sich „Meisterchor“ nennen. Seit 2001 liegt sein Dirigat in den Händen von Anja Daecke-Mumm.
Warum er einer der herausragenden Chöre in Karlsruhes Chorlandschaft ist, das konnte man hören. Zum Beispiel in der „Sestina“ des italienischen Meisters Claudio Monteverdi. Die fünfstimmige Madrigalsammlung beschreibt den Tod der Sängerin Caterina Martinelli. Der emotional gespannte Text erfährt eine direkte musikalische Ausdeutung, die ganz auf polyphone Motorik verzichtet, den Affekt aber mit den Mitteln von Dynamik und Harmonik differenziert ausdrückt. Daecke-Mumm hält ihren Chor sicher entlang der Spannungskurve des Gefühls. Das Ergebnis ist eine zu Herzen gehende Musik, die auch begreifbar ist, ohne den Text zu verstehen.
Der Bittersüße der Sestina waren die von Christiane Dickel und Melania Inés Kluge vierhändig zupackend interpretierten „Slawischen Tänze“ – jeweils der zweite aus den Opera 72 und 46 – von Antonin Dvorak eine heitere Auflockerung. Passend zu den drei Chorliedern aus Jean Sibelius’ 1893 entstandenem Zyklus „Rakastava“ (Der Liebende). Hier ist die Liebe nicht schmerzlich, sondern in Naturmetaphern gefasste Erotik. Und sie ist sehr rhythmisch: Der Chor springt formlich durch die oft alliterierenden Verse. Rhythmisch zurückgenommener zeigt sich zunächst der Engländer Gustav Holst. Die beiden Volkslieder „I Love My Love“ und „Youth Is Pleasure“ bleiben ganz im einfach singenden Balladenton. Das dritte aber, „The Song Of The Blacksmith“, macht die dengelnden Hammerschläge des Schmiedes auf den Amboss geradezu körperlich erfahrbar. Es ist eine Freude, dem Chor dabei zuzuhören.
An die Rasanz knüpften die Pianistinnen Dickel und Kluge an mit vier Walzern aus Johannes Brahms’ op. 39 und dem allbekannten fünften „Ungarischen Tanz“. Zum Schluss vereinigten sich das Klavierduo und der Chor für eine Auswahl aus desselben Komponisten „Liebesliederwalzern“ op. 52. Die Walzergesänge verlangen rasche Ausdruckswechsel auf engem Raum. Cantus Solis führt sicher durch den Irrgarten der Gefühle – und klingt dabei wunderschön. Das Publikum bedankte sich mit überschwänglichem Applaus. Jens Wehn
 
[BNN, 16.10.2019; Abdruck mit Einverständnis des Autors]